Der Kawasaki “Competition Manager” blickt zurück auf ein verrücktes Jahr….
Zu Beginn des Jahres 2007 existierte das im neuen Design auftretende und nun von Kawasaki in-house betriebene Kawasaki Racing Team gerade wenige Monate. Das Team stand vor der Herausforderung, ein Werksteam von Null auf aufzusetzen, während die grundlegendste Infrastruktur fehlte. Darüber hinaus standen der Wechsel auf die 800 ccm MotoGP Maschinen und neue Reifenregularien ins Haus.
Sicherlich eine Situation, in der nur ein (im positiven Sinne) Verrückter das Projekt übernehmen würde.
Das PR-Team von Kawasaki hat daher ein Interview mit dem damals neuen Teamchef Michael Bartholemy geführt. Der schwer motivierte Belgier hat mit dem zurückliegenden Jahr gezeigt, dass man ihn besser nicht unterschätzen sollte. Trotz der Vielzahl an zu lösenden Aufgaben hat er mit seinem Team von engagierten Fahrern, Ingenieuren, Mechanikern und Supportkräften einen hervorragenden Job gemacht. Mit 2 Fahrer auf 2 Bikes im Starterfeld stellte er Kawasaki in die beste Position, die das MotoGP Team des kleinsten japanischen Herstellers jemals inne hatte.
Ein Jahr später blickt Bartholemy zurück auf die Probleme und Erfolge der ersten Saison des Teams und gibt einen Einblick in seine Ziele für 2008:
“Ich hatte einige Zweifel, als Kawasaki Heavy Industries (KHI) mir am 6.11.2006 mitteilte, dass wir weitermachen und ein Team für die kommende Saison zusammenstellen würden – nicht weil wir das nicht konnten, sondern weil die Zeit unser größter Gegner war.
Wir hatten kein Werkzeug, keine Flightcases, nichts. Aber anstatt Sorgen über das Scheitern zu haben wurde mir klar, wie wichtig es war, zu zeigen, dass wir es können. Wenn Du schwach erscheinst, hast Du schon das erste Rennen verloren.”
Lief das Jahr in der Rückschau so wie erwartet?
“Wäre ich im letzten November gefragt worden, wann wir wohl alle im Griff haben würden, hätte ich sicher eine Prognose von 12 Monaten abgegeben. Heute, ein Jahr später, kann ich sagen dass uns vielleicht noch 15% fehlen – ausgehend von den 100%, die am 6.11.2006 fehlten. Kleinigkeiten und Details, die noch finalisiert werden müssen.
Somit ist Januar (2008) für mich das aktuelle Ziel, um alles aussortiert zu haben. Auch wenn es am Ende bis zu den IRTA Tests im Februar dauern sollte, werde ich noch sehr glücklich sein.”
Eines der größten zu überwindenden Hindernisse, neben dem kompletten Teamaufbau, war die Situation um den französischen Fahrer Olivier Jacque.
“Wir wussten von Anfang an dass er nicht der jüngste Fahrer im Grid war und ich hatte so meine Bedenken, ihn für uns fahren zu lassen. Aber man muss das Beste aus seinen Piloten machen. Wie auch immer, ich denke auch, dass man in meiner Position stark sein muss, wenn mal etwas falsch läuft. Und ganz sicher, es lief etwas falsch. Olivier stürzte zu oft und verletzte sich viel und es war nicht leicht, zu wissen was zu tun ist.”
Am Ende stand Jacque da und teilte mit, dass er mit dem Racen aufhören wollte.
“Das stimmt. Verständlicherweise war er nervös, als er das aussprach. Er ist ein Racer und ein früherer Weltmeister und es erfordert eine Menge Mut zu sagen, dass dieser Teil des Lebens für Dich nun vorbei ist. Aber wir wollten ihn nicht verlieren. Ich überlegte, ihn aus der anstrengenden Rennsituation herauszunehmen, ihn aber für Tests und Weiterentwicklung des Bikes zu behalten.”
Bartholemy lächelt, zufrieden mit dem Ergebnis der Geschichte.
“Olivier hat sich hervorragend auf die neue Situation eingestellt und ist meines Erachtens der beste Testfahrer in der MotoGP. Ich denke wir alle haben von der Entwicklung profitiert und ich hoffe, dass er für viele weitere Jahre bei uns bleiben wird.”
Gleichzeitig wurde die Entscheidung getroffen, Jacque durch den früheren 250cm-WM-Fahrer Anthony West zu ersetzen.
“Er ist ein guter Fahrer – insbesondere in der Rennsituation. Das war einer der Punkte, die mich überzeugten, mit ihm den richtigen Mann für den Job zu haben. Er braucht noch etwas Feinschliff, aber ich bin sicher, wir werden eine Weiterentwicklung bei ihm sehen können. Daher haben wir ihn für die kommende Saison erneut unter Vertrag genommen.”
Und zum Thema Fahrer…
“Wir sahen einige gute Ergebnisse von Randy de Puniet und von Anthony, aber ich bin zuversichtlich, dass diese speziell mit der Verpflichtung von John Hopkins noch einmal besser werden.
Die Entscheidung für Hopper war bei mir bereits im letzten April gefallen, aber zu dem Zeitpunkt war es noch nicht leicht, die Leute um mich herum davon zu überzeugen: Seine Ergebnisse waren noch nicht die Besten. Aber am Ende des Rennens in Valencia ging ich zur Anzeigetafel und sah auf die finale Punktetabelle. Erster war Casey Stoner, der bei Ducati bleibt; dann Dani Pedrosa, der bei Honda bleibt; dann Rossi, der vertraglich an Yamaha gebunden ist. In anderen Worten: Der beste Fahrer auf der Punktetabelle, der überhaupt das Team wechseln konnte, war Hopkins, den wir bereits im April auserkoren hatten. Und er wollte zu Kawasaki kommen – das sagt schon etwas aus.”
Und wenn jemand vor einem Jahr gefragt hätte, ob Kawasaki einen Fahrer wie John Hopkins überzeugen könnte?
“Ich hätte geantwortet, dass dies unmöglich ist. Aber wir haben es geschafft. Und es ist auch nicht so, als wäre er der einzige Interessent gewesen. Ich denke, es war vielleicht das erste mal, dass einige Fahrer überhaupt über Kawasaki als ernsthafte Option nachgedacht haben. Ganz sicher hat die 2007er Saison unser Leben verändert. Und gleichzeitig wird es die Wahrnehmung durch Dritte verändert haben, da man uns nun als echtes Werksteam wahrnimmt.”
Das ist schon eine Leistung, berücksichtigt man, wo das Team ein Jahr früher stand.
“Zu den ersten Tests fuhren wir im November 2006 nach Sepang, wo wir eine Menge Probleme hatten. Aber als wir am 21. Januar 2007 zurückkehrten, hatten wir keinen Ausfall und keine technischen Probleme. Innerhalb der Wintermonate hat eine Armee von Ingenieuren bei Kawasaki wirklich sehr hart gearbeitet – und was sie erreicht haben, war unglaublich.
Nach den vorsaisonalen IRTA Tests im letzten Februar wusste ich, dass wir wettbewerbsfähig sein würden. Das Motorrad war schnell. Aber da hörte es nicht auf. Die Techniker setzten ihre Arbeit an der ZX-RR fort und wir sahen im Laufe des Jahres viele weitere Verbesserungen.
Tatsächlich markierten de Puniet und West in der letzten Runde in Valencia die zwei besten Zeiten des Rennens. Ab da konnte man mit Sicherheit sagen, dass Kawasaki zu den Mitbewerbern aufgeschlossen hatte – wobei die meisten bereits für viele Jahre in der MotoGP aktiv sind.”
Immer Perfektionist, hoffte Bartholemy auf mehr – bleibt aber philosophisch.
“Ich sagte damals, dass ich mit einer WM-Platzierung auf Rang 9 sehr zufrieden sein würde, da Kawasakis bestes Resultat bisher der 10. Platz war – der Traum war also, dieses Ergebnis zu verbessern. Aber ich wusste, dass es schwer werden würde. Nun, am Ende der Saison, ist es leicht zu sehen, dass unser Paket sogar das Potential für eine bessere Platzierung als 9. gehabt hätte. Aber, hey, wir haben den 11. Platz geschafft und ich bin nach unserem ersten Jahr in der Tat sehr zufrieden.”
Und wie wurde dieses öffentliche Ringen um Anerkennung von der stets anwesenden Presse bewertet?
“Klar, es gab viele Spekulationen über die riesigen Veränderungen des letzten Jahres, aber die meisten Journalisten schienen beindruckt von dem, was wir getan haben.
Und wir haben nun mehr Pressevertreter, die uns in unserer Hospitality auf einen Kaffee und einen Plausch besuchen, um zu sehen, was wir tun. Viel mehr, als wir unter der alten Führung hatten. Ich denke, wir haben Türen geöffnet, die vorher verschlossen gewesen waren.
Wir bekommen viel mehr positive Rückmeldung. Und ja, es wird immer schlechte Presse geben, für jedes Team. Aber wir können die Zweifler nur überzeugen, wenn wir immer bessere Ergebnisse abliefern.”
Es ist ein stressiger Job in einer stressigen Umgebung – Wie arbeitet er (Bartholemy), wie geht er damit um?
“Ich mag es, einen geradlinigen Anspruch zu verfolgen und hoffe, dass mein Team hier zustimmen würde! Mir ist auch wichtig, dass mein Team ähnlich unvoreingenommen bleibt. Am Ende macht das vieles einfacher. Ich liebe Klarheit, weil das der einzige Weg ist, um unser Ziel in der MotoGP zu erreichen: Weltmeister zu werden.
Meine Beziehungen nach Japan sind extrem wichtig für mich und ich arbeite hart daran, dass meine Kommunikation mit Kawasaki ein Vorteil für uns alle ist. Das ist elementar. Wir sind nun an dem Punkt, wo ich mit dem Vorstand des Unternehmens als Freund sprechen kann und wir Dinge somit möglichst effizient lösen können. Das macht mir Spass und ich denke, das ist ein weiterer Punkt, wo das Team in der letzten Zeit einen erheblichen Schritt nach vorne gemacht hat.”
Aber die Aufgabe, dies alles von Null auf aufzusetzen und dann in Betrieb zu halten und weiter zu entwickeln, muss eine Herkulesaufgabe sein.
“Zugegeben, ich höre niemals auf zu arbeiten. 18 Stunden eines jeden Tages dreht sich mein Leben um die MotoGP. Und in den 6 Stunden Schlaf sind nochmal 2 Stunden für die Träume über die Arbeit reserviert! Vielleicht werde ich in 10 Jahren mal etwas Entspannteres machen, aber im Moment bin ich nicht in der Situation, einen Gang zurück zu schalten. Manchmal wünsche ich mir, auch mal mein Telefon abschalten oder mal nicht meine Mails checken zu können, aber das ist unrealistisch.
Wenn ich zur Rennstrecke und lange arbeiten muss, macht mir das nichts aus. Aber manchmal vermisse ich es, etwas Zeit für mich selbst zu haben. Jemand aus dem Team kam neulich auf mich zu und sagte “Hey, Du musst zum Frisör!” – aber ich habe nicht die Zeit gefunden, das zu tun. Oder auch nur die Zeit, mal zu Bank zu gehen… Das vermisse ich. Und, klar, ich würde ich gerne mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen können. Aber wie schon gesagt, ich bin noch nicht da, wo ich mit diesem Team sein will und es ist noch eine Menge Arbeit zu tun.”
Ganz der Team Player, verweist Bartholemy schnell auf die Errungenschaften der Menschen um ihn herum.
“Jeder von uns musste grosse Abstriche in seinem Privatleben machen, aber wir haben so grosse Fortschritte gemacht, dass ich nach diesem verrückten Jahr eine Rückkehr zu etwas mehr Normalität kommen sehe. Zusammen haben wir alles durchgestanden und am Ende sehen wir optimistisch in die kommende Saison.”
Und was waren die persönlichen Höhepunkte aus 2007?
“3 Kawasaki Fahrer in den Top 10 in Laguna Seca und natürlich Randys Podiumsplatz in Motegi. Das war etwas ganz besonderes. Ducati hatte das Rennen gewonnen, sodass unsere Maschine die erste japanische war, die die Ziellinie überquerte – in Japan, mit all unseren Chefs vor Ort. So kamen viele Dinge zusammen und Randy fuhr ein fantastisches Rennen. Das war wirklich ein grossartiger Tag.”
Was ist der Plan für 2008?
“Neben der vor uns stehenden Aufgabe, die noch offenen Probleme (s.o.) auszusortieren, ist der wichtigste Punkt sicher die Entscheidung, nicht mit einem neuen Bike anzutreten. Ich denke, das war ein sehr sinnvoller Zug. Ich glaube daran, dass wir stärker sein werden, wenn wir nur die nötigen Anpassungen des bestehenden Motorrades machen. Unser Bike hat immer besser funktioniert, warum sollten wir es also komplett austauschen?”
Stimmt es, dass Sie nach weiteren Sponsoren gesucht haben, um das Team weiter zu verstärken?
“Kawasaki hat eine realistische Einschätzung der für das Projekt erforderlichen Investitionen und wir haben eine Zusage, dass das Unternehmen zumindest bis 2011 in der MotoGP bleiben will.
Aber ja, wir haben in diesem Jahr hart daran gearbeitet, einen grossen Sponsor von ausserhalb der Motorrad Szene anzuziehen. Es geht dabei nicht nur um das Geld, sondern auch darum, unseren Namen in anderen Märkten zu etablieren, was im Sinne der Markenbildung sinnvoll ist. Es würde bedeuten, dass wir nicht nur in Motorrad Magazinen und anderen Feldern, wo wir ohnehin bekannt sind, platziert wären. Wir müssen uns neuen Märkten gegenüber offen zeigen, nicht nur der Zweirad-Welt, wo wir zu Hause sind.”
Und was wird er uns nächstes Jahr sagen?
“Ahh! Ich werde sagen, dass wir nach einer erfolgreichen Saison 2008 nun bereit sind, 2009 um den Weltmeistertitel zu kämpfen. Ich bin überzeugt, dass wir das können. Völlig überzeugt. Wir haben einige sehr, sehr gute Leute hier bei Kawasaki und ich denke, wir haben das beste Team in der MotoGP. Wir sind zusammen durch Hochs und Tiefs gegangen, aber wir haben ein unglaubliches Motorrad und ein Werksteam aufgebaut. Ich bin extrem stolz auf diese Menschen.”
Interview zu Ende, der ruhelose Bartholemy rennt zurück zum Schreibtisch, wo sein Telefon schellt und der Posteingang überquillt. Bisher keine Verlangsamung seines Programms…
(Übersetzung des Originalinterviews von der Kawasaki MotoGP-Website, keine inhaltliche Veränderung, der Artikel spiegelt also nicht zwangsläufig meine Meinung wieder.)
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